Lehramtkurier: Eine ukrainische Studentenvertreterin berichtet aus dem Kriegsgebiet

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Vorwort von Maximilian Wagner: Während das Sommersemester beginnt, herrschen wenige hundert Kilometer von hier Krieg. Dort gibt es kein Sommersemester mehr, keine Universität, keine Kurse. Ich selbst durfte 2 Jahre die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) auf der europäischen Ebene (ESU) vertreten, und war dort auch immer wieder in engem Kontakt mit den ukrainischen Studierendenvertreterinnen und -vertretern. Die Ukraine ist seit 2008 Teil des Bolognasystems, hat vergleichbare ECTS-Systeme, Hochschulsysteme nach europäischen Standards, entwickelte ihr Bildungssystem für junge Menschen konstant fort. Wir haben uns dort oft über die normalen Probleme an den Hochschulen hier und in der Ukraine unterhalten, gemeinsam an Anträgen geschrieben. Umso schockierender ist nun, dass die selben Personen heute mitten in einem Kriegsgebiet sind, während die Universitäten zerbombt werden und die gesamte Bevölkerung im Land um ihr Leben fürchten muss. Die Bilder und Nachrichten sind schon schlimm, doch persönliche Berichte sind noch viel erschütternder. Der folgende persönliche Bericht einer Kollegin aus der ukrainischen Studierendenvertretung schildert die letzten Tage im Krieg. Spenden- und Hilfsmöglichkeiten sind am Ende des Artikels aufgelistet, falls auch du den Menschen in der Ukraine helfen möchtest.

(Übersetzung aus dem Englischen – ungekürzt – erhalten am 28.02.2022)

Um 6.21 morgens (Kyiv Zeit) weckte mich meine Mutter mit einem Anruf in welchem sie weinte und schmerzvoll schrie. Sie erzählte mir, dass Russland mit der Bombadierung von Kyiv, Kharkiv, Kherson, Mariupol und anderen Städten begonnen habe. Mein Freund und ich waren in Kyiv, daher ist es schwer in Worten auszudrücken, wie meine Mutter sich fühlte und welche Angst sie in diesen Sekunden ergriffen hat. Um ehrlich zu sein, dieser Anruf verfolgt mich bis heute. Ich öffnete Social Media und dass ich schockiert war, wäre eine Untertreibung. Viele Namen schossen mir in den Kopf, Namen von Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten aus unterschiedlichsten Teilen der Ukraine, wo die Bombardierungen und Luftangriffe gerade immer weiter gingen. Wir waren nicht auf einen groß-angelegten Krieg vorbereitet, daher habe ich – nach einer 5-minütigen Panikattacke – alle meine Freunde angeschrieben damit auch sie die Situation verstehen, habe mich angezogen, notwendige Dinge zusammengepackt und wir sind in die Ubahn (Schutzbunker). Angst und Panik machten sich in mir breit, und ich war darüber beschämt, da sich andere Freunde mehr zusammenrissen während ich eher destruktiv wirkte. Was mir am meisten Angst machte war die Ungewissheit, wo die nächste Bombe fallen würde.

Als mein Schock schließlich etwas nachließ, war es Zeit zu handeln. Also gingen wir los und kauften notwendige medizinische Dinge und Essen, welches in jeder Situation einfach zuzubereiten ist. Dann ging es zurück in unsere Wohnung. Wie bereiteten alles in unserer Wohnung für den Notfall vor und packten notwendige Dinge, um jeden Moment weg zu können. Ich spürte einen Bombeneinschlag und schon wieder stieg Panik unkontrolliert auf. Ich war verloren und konnte nicht sortieren, was ich nun tun soll/muss. Warum? Sollte ich jetzt etwa umziehen und mein Zuhause verlassen?

Nach 7 Stunden entschieden wir uns, Kyiv zu verlassen und an einen sichereren Ort zu gehen. Und für diese Entscheidung aus der Stadt zu gehen bin ich meinem Freund dankbar, da wir sonst in Kyiv unter ständigen Bombardierungen und Beschuss gestanden wären. Als wir auf dem Weg zum Bahnhof waren flog plötzlich ein Flugzeug über uns hinweg. Ich wusste nicht, zu welcher Seite es gehörte: ukrainisch oder russisch, also liefen wir in den nächsten Schutzbunker. Endlich am Bahnhof angekommen sind wir in eine andere Region gefahren. Aber meine Familie ist noch in einer Stadt mit strategisch wichtigen Einrichtungen. Die Familie meines Freundes ist in einem Gebiet, wo konstant Kämpfe toben. Meine Freunde sind in Gebieten, die jede Stunde bombardiert werden. Einige Städte wurden komplett zerstört oder sind an der Grenze einer humanitären Katastrophe. Darüber hinaus sind hunderte, wenn nicht tausende Zivilisten ums Leben gekommen, darunter Kinder. Kindergärten, Schulen, Gemeindezentren, Krankenhäuser werden bombardiert.

Aktuell bin ich an einem sichereren Ort und tue mein Bestes, den Leuten und unserer Armee zu helfen. Jeden Tag leiste ich ehrenamtliche Arbeit, wie andere Ukrainer auch. Ich werde nie wieder die Person sein, die am 23. Februar ins Bett ging. Ich werde mich niemals wieder in Kyiv sicher fühlen, wo ich 8 Jahre lebte. Ich werde immer den Klang der Bomben hören, selbst wenn nur Feuerwerk gezündet werden sollte. Und ich weiß nicht: werde ich jemals wieder in mein Zuhause zurückkehren? In mir ist viel Hass, Trauer und Schmerz. Aber auch Stolz auf unsere Armee, auf die Menschen und Liebe für das Land. Ich verstehe nicht, warum ich so einen großen Preis zahlen muss, aber ich hoffe, dass Russland dafür in der Hölle brennt.


Spendenmöglichkeiten:

„Bündnis Entwicklung Hilft“BEH und ADH
IBAN: DE53 200 400 600 200 400 600
BIC: COBADEFFXXX
Commerzbank
Stichwort: ARD/ Nothilfe Ukraine
Caritas ÖsterreichIBAN: AT23 2011 1000 0123 4560 (Kennwort: Soforthilfe Ukraine)
SOS-KinderdorfIBAN: AT62 1600 0001 0117 3240 (Kennwort: Ukraine)
DiakonieIBAN: AT07 2011 1800 8048 8500
ORF (Nachbar in Not)IBAN: AT21 2011 1400 4004 4003 (Kennwort: Hilfe für die Ukraine)
Ärzte ohne GrenzenIBAN: AT43 2011 1289 2684 7600

Kostenlose psychologische Anlaufstelle:

Die psychologische Ambulanz und psychotherapeutische Ambulanz der Sigmund Freud Privatuniversität bietet mit der ÖH kostenlose Krisenintervention für alle ukrainischen Studierenden, die an einer österreichischen Hochschule studieren, in englischer und deutscher Sprache in Präsenz in Wien an. Für Studierende, die derzeit in der Ukraine sind, wird eine Online-Gruppe angeboten.